Was war das Problem bei der „Regensburger Rede“?

1. April 2023 in Buchtipp


Nach dem Hype um „Benedetto“ war die Rede von Regensburg die willkommene Gelegenheit für Ratzingers Gegner, die Attacken auf ihn wiederaufzunehmen - Auszug 1 aus dem neuen Benedikt-Bestseller-Buch von Peter Seewald


Rom (kath.net) 

Seine zweite offizielle Auslandsreise ging nach Bayern, wo es zum ersten „Skandal“ des Pontifikats kam.

Vorangegangen war, bei sonnigem Papstwetter, ein regelrechter Triumphzug durch sein Heimatland, mit Millionen von Begeisterten, die den Weg säumten und seine Ansprachen hörten. Gleich bei seiner Ankunft hatte Benedikt XVI. auf die Bedeutung der Religion in einer laizistisch geprägten Gesellschaft hingewiesen. „Es gibt eine Schwerhörigkeit Gott gegenüber, an der wir gerade in dieser Zeit leiden“, setzte er später fort, „mit diesem Verlust an Wahrnehmung wird aber der Radius unserer Beziehung zur Wirklichkeit drastisch und gefährlich eingeschränkt. Der Raum unseres Lebens wird in bedrohlicher Weise reduziert.“ Bei der Sonntagsmesse mit 250 000 Gläubigen auf einem riesigen Gelände in München-Riem gab er zu bedenken: „Die Völker Afrikas und Asiens bewundern zwar die technischen Leistungen des Westens und unsere Wissenschaft, aber sie erschrecken vor einer Art von Vernünftigkeit, die Gott total aus dem Blickfeld des Menschen ausgrenzt und dies für die höchste Art von Vernunft ansieht, die man auch ihren Kulturen beibringen will.“

Jeder Schritt des Papstes schien von Symbolik getragen.

Etwa als er im Marienwallfahrtsort Altötting länger als an jedem anderen Platz in der Anbetungskapelle verweilte. Oder als er in Regensburg unmittelbar von seinem Vortrag an der Universität zum Dom marschierte, wie um zu zeigen: Seht, der Weg zwischen Wissenschaft und Glauben ist eine kurze Strecke, und er ist keine Einbahnstraße. Am Ende des Tages führte er in der gotischen Kathedrale Altes und Neues Testament, West und Ost in einer ökumenischen Vesper zusammen: Katholiken und Juden, Orthodoxe und Protestanten.

Was war das Problem bei der „Regensburger Rede“?

Ursprünglich wollte Benedikt an seiner alten Wirkungsstätte lediglich persönliche Erinnerungen zum Besten geben. Die Leitung der Hochschule drängte jedoch auf eine „Lektion“. Sein Vortrag – eine klassische Vorlesung mit dem Titel „Glaube, Vernunft und Universität. Erinnerungen und Reflexionen“ – wandte sich gegen Tendenzen, Glaube und Vernunft als zwei unvereinbare Welten zu betrachten. Ohne Vernunft drohe der Glaube fanatisch zu werden, betonte Benedikt, und ohne Glauben lege sich die Vernunft Fesseln an und beraube sich ihrer Würde.

Zwölf Seiten lang ging es im Manuskript so weiter. Nicht vernunftgemäß handeln, so die Quintessenz der „Lektion“, sei dem Wesen Gottes zuwider. Dazu gehöre eben auch, in Glaubensdingen keinen Zwang oder gar nackte Gewalt auszuüben.

Der Vortrag war beendet, das Publikum applaudierte, und niemand sah einen Grund, nicht wieder zur Tagesordnung überzugehen.

„Der Papst war da – na und“, kommentierte Spiegel-Online gelangweilt. In Regensburg habe er sich „für den Dialog mit dem Islam“ ausgesprochen, allerdings ohne besondere Reizpunkte. Fazit: „Allgemeiner und ungefährer geht es wohl kaum.“

In der Süddeutschen Zeitung war zu lesen: „Was er sagt, ist eine der besten Zusammenfassungen dessen, was der Gelehrte Joseph Ratzinger zum Verhältnis von Glaube und Vernunft gesagt hat.“ Aber kaum war der Papst-Flieger aus dem sonnigen München im regnerischen Rom gelandet, brach ein Sturm der Entrüstung los.

Ohne dass es jemand groß mitbekommen hatte, war in ausländischen Medien die Regensburger Rede auf ein Zitat verkürzt worden. Wie auf Kommando erhoben sich nun die Wortführer. Das geistliche Oberhaupt Irans zum Beispiel, Ayatollah Ali Khamenei, bezeichnete den Vortrag als „letztes Glied eines Komplotts für einen Kreuzzug“. Ein Vizevorsitzender der türkischen Regierungspartei AKP sagte voraus, Benedikt XVI. werde „auf den Spuren Hitlers und Mussolinis“ in die Geschichte eingehen.

Der Aufwiegelung folgten Taten, als eine organisierte Empörungswelle in islamischen Ländern Zigtausende wütender Menschen auf die Straße brachte. Nicht nur Fahnen, auch Kirchen wurden in Brand gesetzt. In Mogadischu kam bei Ausschreitungen die italienische Ordensfrau Leonella Sgorbati ums Leben.

Plötzlich empörten sich auch deutsche Kommentatoren. Aber nicht über die Manipulation der Rede, sondern darüber, dass ein Mann wie Ratzinger sich derart vergreifen könne. „Der Theologe steht dem Papst im Weg“, polterte nun die Süddeutsche Zeitung, die zuvor voll des Lobes über den Vortrag war, „der gescheite Denker hat sich als naiver, um nicht zu sagen: gedankenloser Amtsinhaber verhalten“. Der Spiegel, der eben erst noch berichtet hatte, der Papst habe sich in Regensburg „für den Dialog mit dem Islam“ ausgesprochen, empörte sich nun, Benedikt habe „mit seiner Regensburger Rede … fast eine globale Krise ausgelöst“.

Hatte der Pontifex gezündelt, ohne es zu merken?

Den Protesten lag zugrunde, der Papst habe in Regensburg auf schändlichste Weise den Islam und damit alle muslimischen Gläubigen beleidigt. Um diese Anklage führen zu können, wurde ein Zitat aus dem Zusammenhang gerissen. Als Professor war es Ratzingers Spezialität gewesen, historische Miniaturen in seine Texte einzubauen, um davon These, Antithese und Synthese abzuleiten. An der Uni in Regensburg griff er auf ein Zitat aus einem Buch des libanesischen Islamwissenschaftlers Adel Theodor Khoury zurück. In dem Abschnitt ging es um einen Dialog zwischen dem mittelalterlichen byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos um das Jahr 1400 und einem gebildeten Perser. Unter anderem fiel dieser Satz, den der Kaiser sprach, um die Kontroverse auf die Spitze zu treiben: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.“

Der Satz war die ideale Vorlage für einen klassischen Trick. Was ursprünglich eine zur Diskussion gestellte Bitte war, ging nun als Behauptung um die Welt, und getroffen hatte sie nicht der mittelalterliche Manuel II., sondern der amtierende Benedikt XVI. Die Botschaft war unmissverständlich: Für den Papst ist der Islam eine gewalttätige Religion, die sich dem Heiligen Krieg verschrieben hat.

Nach dem Hype um „Benedetto“ war die Rede von Regensburg die willkommene Gelegenheit für Ratzingers Gegner, die Attacken auf ihn wiederaufzunehmen.

Bis heute taucht die Lektion von Regensburg in der Liste der „Skandale“ auf, derer sich Benedikt XVI. schuldig gemacht habe. Dass der „Skandal“ auf einer gezielten Manipulation beruht, wird zumeist verschwiegen. Dabei erwies sich der vermeintliche Fehltritt des Papstes am Ende sogar als wegweisend. Die islamische Zeitung Zaman kommentierte kurze Zeit später, endlich sei der Dialog der Religionen wirklich in Gang gekommen. „Muslime feiern Benedikt“, meldete nun auch Spiegel-Online. Die Zeit verneigte sich vor Ratzinger als dem „Weisen im Morgenland“, der „in der islamischen Welt zur wichtigsten Autorität des Westens wird“. Es sei dem Papst wie keinem anderen gelungen, hieß es plötzlich, den inneren Zusammenhang von Glaube und Vernunft aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass durch die wechselseitige Reinigung beide Bereiche vor gefährlichen Pathologien bewahrt würden.
 

kath.net Buchtipp
Benedikts Vermächtnis. Das Erbe des deutschen Papstes für die Kirche und die Welt
Von Peter Seewald
ISBN: 9783455012583
Hoffmann und Campe Verlag 2023
Hardcover, 400 Seiten
Preis: Euro 25,70


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