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| Der Missbrauch des Missbrauchs21. Februar 2022 in Aktuelles, 1 Lesermeinung Beschuldigungen: die seit Wochen brodelnde Schlammschlacht gegen Benedikt XVI. Die Wortmeldung eines Historikers im ‚Wall Street Journal’. Von Armin Schwibach Rom (kath.net/as) Am Freitag, 18. Februar 2022, veröffentlichte das New Yorker „Wall Street Journal“ einen Artikel, was in mehr als einer Hinsicht als außerordentlich zur würdigen ist: „Papst Benedikt, sexueller Missbrauch und die Zukunft der Katholischen Kirche“. „In mehr als einer Hinsicht“: dies in Anbetracht des New Yorler Presseorgans, und vor alle in Anbetracht des Autors des Artikels und dessen Inhalts: Professor Dr. Roberto Regoli. Roberto Regoli ist Professor für Zeitgenössische Kirchengeschichte und Geschichte des Papsttums an der Fakultät für Kirchengeschichte und das kulturelle Erbe der Päpstlichen Universität Gregoriana. Dort leitet er die Abteilung für Kirchengeschichte und die Zeitschrift „Archivum Historiae Pontificiae“. Sein besonderes Interesse gilt der Geschichte des Papsttums, der römischen Kurie und der päpstlichen Diplomatie im 19. und 20. Jahrhundert. Zu seinen Veröffentlichungen Regolis gehöre auch das international bekannte und in einige Sprachen übersetzte Werk „Oltre la crisi della Chiesa. Il pontificato di Benedetto XVI“ (Jenseits der Krise der Kirche. Der Pontifikat Benedikts VI.“). In seinem Beitrag für das „Wall Street Journal“ geht Regoli auf die seit einigen Wochen angezettelte Schlammschlacht gegen den Papa emerito ein. Als Historiker beschriebt er deren Verlauf im Kontext der jüngsten Kirchengeschichte, als Historiker verweist er auf die Tatsache, dass dies der letzte Stein eines sich seit langem im Gang befindenden Umbruchs dessen ist, was „Kirche“ sein soll. Beim Thema der Missbrauchsfrage geht es für Regoli nicht um die Vergangenheit, sondern um die Zukunft der Kirche. Das seit Jahrhunderten bestehen Ringen um diese Zukunft sei somit nichts Neues in einer zweitausendjährigen Geschichte, aber neu in den letzten Jahren sei die Tatsache, dass das Thema sexueller Missbrauch nicht mehr an sich, sondern im Zusammenhang mit dieser Zukunft behandelt werde. In diesem Spannungsfeld, so der Historiker, „sind die Vorwürfe gegen Joseph Ratzinger und seine mögliche Nachlässigkeit in dieser Angelegenheit zu verstehen“. Seit einigen Jahren befassten sich einzelne Bischofskonferenzen (z. B. in den USA, den Niederlanden und Frankreich) mit dem Problem der Pädophilie. Eine von vielen Untersuchungen in Deutschland betreffe die Diözese München für die Jahre 1945-2019 und habe eine Debatte über Ratzingers „Schuld“ ausgelöst. Das Bistum wandte sich wie bekannt ist, und in den letzten Wochen breit in der Presse behandelt wurde, an die Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl, die zuvor vom Bistum Köln wegen Unzulänglichkeiten abgelehnt worden war. Die Arbeit des Teams führte zu dem Vorwurf, der damalige Kardinal Ratzinger habe als Erzbischof von München vier der Pädophilie beschuldigte Priester gedeckt. In einigen dieser Fälle wird behauptet, dass der Erzbischof nicht unwissend gewesen sein kann. Ein ziemlich schwaches Argument, das sich nicht auf Beweise stützt. Der Fall mit der größten Medienresonanz ist, wie Regoli erinnert, der von Peter Hullermann und geht auf das Jahr 1980 zurück, obwohl er bereits seit Jahren öffentlich bekannt war. Aus den veröffentlichten Dokumenten sei bekannt, dass Hullermann nach einem Missbrauch im Rheinland auf Bitten seines Bischofs in eine Einrichtung der Diözese München gebracht worden sei, um sich einer Psychotherapie zu unterziehen, und dass er etwa einen Monat später in der Seelsorge mit Minderjährigen eingesetzt worden sei, so dass er in den folgenden Jahren weitere Gewalttaten begehen konnte. „Welche Verantwortung hat Ratzinger?“, so lautete die Frage also. Laut den 2010 veröffentlichten Dokumenten, die auch für Peter Seewalds 2020 erschienene Biografie über Benedikt XVI. verwendet worden sei, sei Ratzinger für die Aufnahme eines Priesters zur Behandlung verantwortlich gewesen. Laut Ratzingers Memoiren „wusste er nicht, dass der Priester aus dem Bistum Essen wegen sexuellen Missbrauchs zur psychotherapeutischen Behandlung nach München versetzt wurde“. Es sei nur ein allgemeines „Risiko“ bekannt gewesen, das jedoch nicht spezifiziert worden sei. Nach den gesammelten Zeugenaussagen war es jedoch nicht Ratzinger, der beschloss, ihn seelsorgerisch einzubinden, sondern der Generalvikar der Diözese (Gerhard Gruber), eine Figur, die in Deutschland mehr Macht habe als in anderen Teilen der Welt. „Was also hat einen solchen internationalen Aufruhr verursacht?“, fragt Regoli weiter. Eine Ungenauigkeit in der 82-seitigen Denkschrift Benedikts XVI. habe darin bestanden, „dass sie Ratzingers Anwesenheit bei dem Treffen im Zusammenhang mit dem Empfang von Hullermann leugnete“. Der emeritierte Papst „entschuldigte sich für dieses Versehen“. Aufgrund dieses Versäumnisses sei eine Medienkampagne gegen Ratzinger/Benedikt XVI. gestartet worden, die nicht nur die Frage des Missbrauchs, sondern auch die der Arbeit des Bistums München überschattete. „Ist diese Vergesslichkeit von Benedikt XVI. zu verantworten?“, fragt der Autor: „Ja, aber bei einem 94-jährigen Mann ist es nicht verwunderlich, dass er sich an 40 Jahre früher erinnert. Ist es ernst? Nein, denn die Wahrheit über seine Beteiligung war mindestens seit 2010 und vielleicht sogar seit 1986 öffentlich bekannt, als Hullermann wegen Kindesmissbrauchs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde.“ Benedikt XVI. habe also kein Geheimnis bewahrt, sondern er habe eine Tatsache verwechselt, was jedoch nichts an der Substanz der Sache und seiner Verantwortung ändere. Dennoch habe der Vorsitzende der deutschen Bischöfe, Georg Bätzing, von Ratzingers „Schuld“ gesprochen. Wichtig sei jedoch, dass man sich der Realität der Tatsachen sicher sei und sich nicht mit ihrem lediglich möglichen oder wahrscheinlichen Charakter zufrieden gebe. Nun der entscheidende Pukt: „Aber was hat das mit den Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche zu tun? Was ist der Zusammenhang zwischen all diesen Fakten?“. Es sei ihre Auswahl und Hervorhebung, auch in Zahlen (wie im französischen Fall), zugunsten von zwei unterschiedlichen Interpretationen. Auf der einen Seite gebe es diejenigen, die die Missbrauchskrise mit dem moralischen Liberalismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Verbindung brächte (wie Ratzinger/Benedikt XVI.) und die persönliche Verantwortung für die Verbrechen betonten, und auf der anderen Seite diejenigen, die den Missbrauch mit einer „systemischen Krise“ in Verbindung brächten und sogar von einer institutionellen Verantwortung sprächen. Im letzteren Fall werde der sexuelle Missbrauch dazu benutzt, die Kirche institutionell in wesentlichen Punkten zu verändern. Man denke an die Forderungen des deutschen Synodalen Wegs oder der Sauvé-Kommission in Frankreich, die, ausgehend von den Missbräuchen, dazu aufforderten, das zu überdenken, was damit gar nichts zu tun habe: von der Macht und der Gewaltenteilung in der Kirche über das priesterliche Leben bis hin zur Moraltheologie (Sexualleben). Die Frage sei nicht so sehr, ob Ratzinger ein öffentlich bekanntes Detail von vor 40 Jahren vergessen habe, sondern „welches Modell der Kirche für die Zukunft“. Benedikt XVI. sei die lebendige Ikone einer bestimmten Art von Kirche. So würden seine „Vergesslichkeit“ und seine Beschimpfungen benutzt, um etwas anderes zu sagen. Aber Missstände müssten an sich angegangen werden und dürften nicht ausgenutzt werden, sonst gebe es den „Missbrauch des Missbrauchs“. „Genug vom Krieg zwischen den Machtgruppen in der Kirche“, so Regoli, „um ihre Zukunft zu beeinflussen. Parteiinterne Streitigkeiten verringern den Handlungsspielraum bei der Bekämpfung von Pädophilie. Leider“. Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! Lesermeinungen
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